Montag, 5. Januar 2015

Exkurs: Ein Beispiel aus Luxemburg

Wie in der Einleitung angekündigt, werde ich im letzten Blogpost meines Artikels "Menschliches Verhalten in sozialen Netzwerken", sozusagen als praktischen Exkurs, über die aktuelle Situation in Luxemburg berichten. Dies ist insofern interessant, als dass es sich bei Luxemburg um ein ziemlich kleines Land handelt, in dem relativ viele Ausländer (ungefähr 45% der Einwohner) leben. Hinzu kommt, dass es dort keine klar rechtsextreme Partei gibt, was auf den ersten Blick vorteilhaft scheint. Jedoch hat dies die negative Konsequenz, dass sich die gesamte rechte Ecke Luxemburgs in der rechtspopulistischen/rechtskonservativen Partei "Alternativ Demokratesch Reformpartei" (adr) einfinden muss. Die adr lässt sich mit der AfD vergleichen und wird von der Öffentlichkeit wie auch von den Regierungsparteien Luxemburgs ähnlich wahrgenommen wie es in Deutschland mit der AfD der Fall ist.

Dadurch, dass man in Luxemburg keine klar rechtsextreme Partei wählen kann, haben sich in den sozialen Netzwerken einige Gruppierungen entwickelt, um das braune Gedankengut in die Köpfe der Luxemburger zu befördern. Normalerweise sind die Betreiber dieser Seiten nicht sehr erfolgreich darin, ihre Mission zu erfüllen, jedoch überschlugen sich im Januar 2014 einige Ereignisse auf Facebook, von denen ich nachfolgend berichten werde.

Begonnen hat das Ganze mit der Facebookseite "Fir all dei et satt hun gesot ze kreien 'scheiss letzeboier' :O" (mitsamt holpriger Ausdrucksweise übersetzt: Für alle die es satt haben gesagt zu bekommen "scheiß lucksemburger" :O), die 2010 gegründet wurde. Diese erreichte ziemlich schnell die 1000-Like Marke und verblieb dann inaktiv. Im Januar 2014 wurde die Seite dann zum "Sprachrohr der unzufriedenen Luxemburger" umfunktioniert. Man konnte der Administration der Seite eine Nachricht schicken, die dann – auf Wunsch anonym – veröffentlicht wurde. Hierbei handelte es sich fast immer um irgendwelche Erfahrungsberichte, die aufzeigen sollten, wie schlimm es doch ist, sich als Luxemburger im eigenen Land fremd fühlen zu müssen. An dieser Stelle griff nun die Algorithmik hinter Facebook ein und zeigte diese Beiträge vielen anderen Nutzern an, da sie aufgrund der vielen Interaktionen relevant zu sein schienen. Diese Nutzer interagierten wiederum mit den Beiträgen, was die Reichweite derselben wieder erhöhte. Schon bald war der Newsfeed der luxemburgischen Facebook-Nutzer mit Beiträgen dieser Art überschwemmt. Gerade diese Überschwemmung an Erfahrungsberichten verleitete eine Großzahl an "besorgten" Luxemburgern dazu, zu denken, dass in der realen Welt die Situation gerade am Überkochen wäre, und man nun unbedingt etwas gegen die Ausländer und Grenzgänger unternehmen müsste. Besonders für den Erhalt der luxemburgischen Sprache müsste man sich einsetzen, behaupteten viele. Dieser Irrglaube könnte nicht unsinniger sein, belegen doch aktuelle Studien, dass die luxemburgische Sprache von immer mehr Menschen gesprochen wird.

Nach einiger Zeit stellten sich auch einige Wechsel in der Administration der Seite ein, um dem Ansturm an Nachrichten, die es zu veröffentlichen galt, entgegenzukommen. Schnell sprach sich herum, was passiert war: Sympathisanten und aktive Mitglieder der "Luxembourg Defence League", einer rechten Internetgruppierung, hatten das Potenzial dieser Nachrichtenquelle entdeckt und übernahmen nun das Steuer. Fortan wurde, unter dem Deckmantel der Erhaltung der luxemburgischen Sprache und Kultur, braunes Gedankengut mit vorher unvorstellbarer Reichweite verbreitet. So versuchte die LDL, neue Mitglieder anzuwerben, um aus eventuellen Mitläufern Kämpfer für ihre Sache zu gewinnen.

Gegenreaktionen zu dieser Facebook-Seite bildeten sich rasch. Auf der Seite selbst wurden jedoch alle Kommentare, die nicht der Meinung der Administratoren entsprachen, umgehend gelöscht. Das Melden der Seite bei Facebook erzielte auch nicht das erwünschte Resultat, sodass die Seite ungehindert ihre Beiträge unter das Volk bringen konnte. Die daraufhin gegründete Facebook-Seite "Fir een tolerant Lëtzebuerg" (zu deutsch: Für ein tolerantes Luxemburg) vermochte leider auch nicht, den Strom aus rassistischen Beiträgen zu unterbrechen.

Am 28. Januar 2014 wendete sich das Blatt schließlich: das Team von Eldoradio, einem erfolgreichen luxemburgischen Radiosender mit jugendlicher Zielgruppe, startete die Facebook-Seite "Eng Mandarin" (zu deutsch: Eine Mandarine). Diese Mandarine sollte symbolisch gegen die rechten Parolen stehen, die überhand genommen hatten. Die Seite fand große Unterstützung bei den Medien, wurde sie doch selbst von einer Tochtergruppe von RTL gegründet, und erfreute sich somit eines regen Zulaufs und vieler Interaktionen. Die resultierende Reichweite sorgte dafür, dass ein Teil der rassistischen Beiträge aus dem Nachrichtenfeld der Nutzergemeinde verdrängt wurde.

Zeitgleich veröffentlichte der Student Maxime Weber, der schon länger gegen die rechte Szene in Luxemburg ankämpfte, einen offenen Brief an die "luxemburger Patrioten" auf seinem neuen Blog, der sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken verbreitete. Sowohl der emotionsgeladene Ton als auch die enthaltenen Inhalte trafen vollends den Nerv der nicht-rechten Luxemburger, die durch das Teilen des Blogposts im Nachrichtenfenster von Facebook nun auf sich aufmerksam machen konnten. Wer den Artikel bis zum Ende liest, erkennt, dass Maxime Weber sich der öffentlichen Bloßstellung eines der Administratoren der behandelten Facebook-Seite bediente, um seinen Argumenten Schlagkraft zu verleihen. Auch wenn sich dieser Administrator dadurch gezwungen fühlte, die Seite zu verlassen, was deren Untergang bedeutete, hätte eine elegantere Lösung als die öffentliche Bloßstellung einer Person gewählt werden können. Die Konsequenz war, dass die Justiz so auf andere, xenophobe Machenschaften des ehemaligen Administrators aufmerksam wurde, der nun seine gerechte Strafe erhielt.

In diesem letzten Blogpost konnte man gut erkennen, wie durch das Verhalten der Menschen in sozialen Netzwerken eine Nutzergemeinde zu einem unkontrollierbaren, wütenden Mob wurde. Eine wichtige Rolle spielte auch hier die Algorithmik hinter Facebook, die diesen Mob (unwissentlich) unterstütze, indem sie den hetzerischen Beiträgen eine hohe Reichweite zuschrieb. Die behandelte Facebook-Seite existiert noch immer und erstellt unregelmäßig Beiträge, jedoch mit mäßigem Erfolg. Hier spielt Facebook nun gegen die Seite selbst: Hat man seine Seite einmal heruntergewirtschaftet, ist es sehr schwer, aus diesem Loch wieder herauszukommen. Im Nachhinein sollte man diese Ereignisse als Warnsignal verstehen. Gerade die aktuelle Situation um Pegida zeigt auf, was hätte passieren können, wenn die Gegenreaktionen nicht überhand genommen hätten.